Olympisch in Sport und Klang
Wenn sich im August 2023 der Vorhang zu Antonio Vivaldis «Olimpiade» hebt, dannbeschert Intendant Alessandro De Marchi den Festwochen bereits zum zweiten Mal Olympische (Opern-)Spiele. Ihr Austragungsort, die Musik- und Olympiastadt Innsbruck, könnte kaum besser gewählt sein.
Wenn sich im August 2023 der Vorhang zu Antonio Vivaldis «Olimpiade» hebt, dann beschert Intendant Alessandro De Marchi den Festwochen bereits zum zweiten Mal Olympische (Opern-)Spiele. Ihr Austragungsort, die Musik- und Olympiastadt Innsbruck, könnte kaum besser gewählt sein.
Text: Esther Pirchner
Mit Innsbruck hat das antike Sikyon im Grunde nicht viel gemein: da Berge, dort Meer; da Tiroler Landeshauptstadt, dort griechische Polis; da Tourismus und Universität, dort Ackerbau und Pferdezucht. Und doch gehen diese beiden im Sommer eine Verbindung ein, wenn Sikyons Herrscher Clistene zur Opern-Olyimpiade lädt – sportlicher Wettkampf, Liebeswirren und Verwechslungen inbegriffen. Mit einer Vertonung des Stoffs durch Giovanni Pergolesi trat Alessandro De Marchi 2010 seine Intendanz in Innsbruck an, mit einer von Antonio Vivaldi verabschiedet er sich 2023 von den Festwochen.
DER TYRANN UND DER BÜRGERMEISTER
Von Clistenes realem Vorbild Kleisthenes, ca. 600 bis 570 v. Chr. Tyrann von Sikyon, berichtet der griechische Geschichtsschreiber Herodot, er habe Viergespanne für die olympischen Wagenrennen geliefert. Als Rennstallbesitzer gewann er sogar selbst einen solchen Wettstreit und rief im Anschluss eigene Spiele in Sikyon aus. Der Preis, die Hand seiner Tochter Agariste (in der Oper Aristea), war so verlockend, dass Freier aus ganz Griechenland zur Konkurrenz anreisten und ein Jahr lang blieben.
Anders als Kleisthenes trat Alois Lugger, von 1956 bis 1983 Bürgermeister von Innsbruck, weder als Sportartikelhersteller in Erscheinung noch gewann er eine olympische Medaille. Zwar bezwang er die Bobbahn in Igls 1976, doch sein Viergespann – mit ihm im Viererbob saßen der Unterrichts- und Kunstminister Fred Sinowatz sowie je ein professioneller Bobpilot und -bremser – startete außer Konkurrenz. Zum Glück für Luggers Töchter Sissi und Maria-Luise waren auch die Zeiten, in denen ein Stadtchef wie Vivaldis Opernkönig seine Tochter mit dem Sieger vermählt, vorbei.
Die Begeisterung für Olympische Spiele teilte Alois Lugger aber durchaus mit dem griechischen Herrscher. Gleich zwei Mal, 1964 und 1976, fand sich die Weltelite des Wintersports zu olympischen Wettkämpfen in Innsbruck ein. «Olympia-Luis» hieß Lugger deshalb in der Bevölkerung, auch weil er nicht nur neue Sportstätten errichten, sondern in einem Aufwasch gleich die Stadt modernisieren ließ. Fortschritt hieß in den Sechzigern eben vor allem Betonbau und freie Fahrt.
DIE GEBAUTE STADT
An allen Ecken und Enden von Innsbruck stößt man seither auf olympische Bauwerke. Augenfällig sind die Häuser der Stadtteile Reichenau und Olympisches Dorf, die während der Spiele als Unterkünfte dienten und anschließend als soziale Wohnbauten genutzt wurden.
Für Olympia wurden Straßen und Hotels errichtet, vor allem aber neue Sportanlagen. 1976, als Innsbruck für den aus Kostengründen zurückgetretenen Austragungsort Denver in die Bresche sprang, beschränkte man sich meist auf die Anpassung des Vorhandenen. Vieles, aber nicht alles ist noch heute erhalten, es wurde renoviert, erweitert oder durch einen Bau gleicher Funktion ersetzt. Bestes Beispiel dafür ist die Skisprungschanze auf dem Bergisel: 1964 noch eine Holzkonstruktion, wich sie 1976 einem Betonbau und dieser wiederum 2002 der aktuellen Schanze von Zaha Hadid. Mit dem Entwurf der Londoner Architektin bekam Innsbruck eine moderne Sportstätte und ein zeitgenössisches Wahrzeichen obendrein.
Die Olympiahalle mit Eisstadion von 1964 war Austragungsort von Eishockey-, Eiskunst- und Eisschnelllaufbewerben. In den folgenden Jahren gastierten dort Musikgrößen wie Shirley Bassey, Ike and Tina Turner, die Rolling Stones und Deep Purple. 1976 fanden alle Siegerehrungen in der Olympiahalle statt, und selbst wenn es kaum österreichische Goldplatzierungen gab, blieben vor allem zwei Ereignisse den Innsbrucker*innen in Erinnerung: wie Skifahrer Franz Klammer und Skispringer Karl Schnabl – neben ihm der Zweitplatzierte Toni Innauer – ihre Goldenen entgegennahmen. Die goldschwarzen «Weltraum»-Sportjacken, mit denen das österreichische Team ausgestattet worden war, hatten sie dem Anlass entsprechend gegen weiße Jacketts getauscht.
Zur Eishockey-WM 2005 bekam die Halle dann selbst ein neues Outfit und nebendran eine kleine Schwester, in der der Innsbrucker Eishockeyclub HCI seither zu den Heimspielen lädt. Die große Halle behielt ihre Funktion als Austragungsort sportlicher Großereignisse und Konzertarena, passend zum Selbstverständnis der Stadt als Zentrum von Sport und Kultur.
DIE WURZELN DER MUSIKSTADT
Auch wenn sich Innsbruck selbst das Attribut «alpin-urban» gibt, verweist man hier gerne auf die reiche Kulturgeschichte und -gegenwart. Die Innsbrucker Festwochen knüpfen an diese Tradition an: Schon Kaiser Maximilian I. beschränkte sich zur Unterhaltung nicht auf Turniere vor dem Goldenen Dachl und Jagdausflüge in die Martinswand, sondern engagierte Musiker von weither an den Innsbrucker Hof und gab diese herrschaftliche Angewohnheit an seine Nachfolger weiter. Paul Hofhaimer, Heinrich Isaac und Antonio Cesti brachten im 15. bis 17. Jahrhundert die neuesten Strömungen aus den Musikzentren in Flandern, Italien oder Deutschland mit, andere berühmte Komponisten schrieben Auftragswerke für die Innsbrucker Fürsten. Hofkapelle und Singknaben – die Vorgänger der heutigen Wiltener Sängerknaben – trugen wesentlich zum gehobenen Musikleben bei.
Die ersten Ambraser Schlosskonzerte fanden 1963 statt, die Festwochen der Alten Musik wurden 1976 gegründet. Den Soundtrack zu Olympia lieferten trotzdem andere: Zur Eröffnungsfeier 1964 reisten die Wiener Philharmoniker unter Karl Böhm an, bei den Siegerehrungen fungierte die Stadtkapelle Wilten als Haus- und Hofkapelle. Von 38 Hymnen, die sie dazu einstudierten, erklangen schlussendlich elf, um die Goldmedaillengewinner*innen zu ehren. Die Kern-Buam spekulierten mit einem «Olympia-Marsch» auf Erfolge, Publikumsliebling Vico Torriani, der im Hotel Olympia abstieg, mit einem «Ski-Twist». 1976 übernahm die Musikkapelle des Militärkommandos Tirol die Aufgabe, die Spiele musikalisch zu begleiten.
VON ARENEN UND BÜHNEN
Nach dem Ende der Spiele blieb das Bild von Innsbruck als Sportstadt in den Köpfen. Die Musikszene verästelte und verzweigte sich unterdessen weiter: Konzerte im Stadtraum, kleine Venues für Rock, Pop und Alternative Music, Festivals der unterschiedlichsten Stilrichtungen gehören dazu. Selbst die Sportstätten wurden und werden zu Konzertbühnen umfunktioniert.
In Gegensatz dazu finden die Wettkämpfe in Vivaldis «Olimpiade» abseits der Opernbühne statt. Es geht doch mehr um Liebe als um Sport. Ganz abgesehen davon sind Frauen auf den Zuschauerrängen Sikyons nicht zugelassen, und so warten Aristea und Argene ungeduldig auf Nachricht vom Ausgang der Spiele. Weil man auch 1964 lieber früher als später über Erfolge Bescheid wusste, wurden die Winterspiele erstmals weltweit live im Fernsehen übertragen und in Österreich schnellten die Verkaufszahlen für TV-Geräte in die Höhe. Die Schulen waren geschlossen, weil die Räume als Unterkünfte benötigt wurden. 1976 bekamen die Kinder, um den «Abfahrtskaiser» Franz Klammer den Patscherkofel hinuntersausen sehen zu können, ab 11 Uhr schulfrei.
Die Eröffnung der Spiele erlebten damals 750 Millionen Zuseher in aller Welt im TV und 60.000 vor Ort, bei den Sportveranstaltungen selbst wurden 732.726 Eintritte gezählt. Das machte Innsbruck als Olympiastadt weitum bekannt, fachte im Land die Lust auf weitere Großveranstaltungen aber nur bedingt an. 1984 und 1988 wurden hier Paralympische Weltwinterspiele ausgetragen, 2012 die ersten Olympischen Jugend-Winterspiele, doch eine weitere Bewerbung um Olympische Winterspiele lehnte die Bevölkerung bisher mehrheitlich ab. Manchmal träumt man sich in Innsbruck eben doch lieber in die olympische Antike als an verschneite Pistenränder und lauscht Vivaldis Liebesarien hingebungsvoller als dem Stadionsprecher am Bergisel.